Petra
Scherzer
Lady
Godiva
Du
& ich - heben das Glas; Dein Abend. Der Abend, auf den Du lange gewartet
hast. Du sagst zwar „nein, nimm Dir bloß Zeit, Liebling" aber ich
weiß, es muß einfach der Augenblick kommen, in dem ich aus
meiner Apathie erwache und sei es nur zum Schein. Für Dich. Normal,
ein bißchen feudal - überspannt wie wir eben. Früher. Mein
Urteilsvermögen war ja niemals getrübt. Nur meine Sinne, meine
Erinnerungen. Doch ich habe beschlossen, heute nur du & ich. Keine
erinnerungen, keine Alpträume, keine Sinnestäuschungen. Nur Du
& ich und Lady Godiva. Die weiten Manschetten meiner Pseudo-Jugendstilrobe
streifen das Tischtuch. Ich trage nicht nur dieses Kleid, das irgendein
londoner Modefuzzi nach Klimt und das Burkart ersteigert, ich trage
auch deiner Mutter -verzeih,ordinäre- Granatohrringe: Joseph,
ich sitze am Ende der Tafel. Lady Godiva, das Meerschwein, reiht nett seine
vierzehigen Vorderpfötchen auf, sitzt aufmerksam, sitzt kompakt, sitzt
wie auf einer Ausstellung, ein „Hervorragend" erheischend. Zum besonderen
Anlaß mit mir am Tisch, genau: Auf dem Tisch. Sie ist eine Dame,
Lady Godiva und mit jeder ihrer zierlichen Bewegungen drückt sie das
aus.
Trinken.
Das funktioniert, in dem man den Becher, hier: das Glas zu Munde führt,
zwischen geöffneten Lippen die Flüssigkeit...cremefarbene Perlen
steigen auf & der leichteste Vanillegeschmack kündet von einem
großen Champagner. Nicht zu sahnig der Abgang, hätte Burkart
jetzt gesagt. Doch wir sind hier : Joseph & ich & Lady Godiva.
Im Kamin knistert das Feuer.
Ich
schaue aus mir mit fremden Augen heraus. Dies Gesicht... Unterwasser in
der Scheibe da. Gegenüber. Dieses Gesicht, das meins ist, darüber.
Und nicht. Ich habe mich aufgelöst, eingewässert- in diese sich
bewegende Welt. Für eine Person, die kein Ich hat, ist das eigene
Gesicht Entsetzen.
Nächtens
Dasselbe. Ein Gesicht, verwässert, unklar, bis ich erkenne, daß
es unerreichbar unter Wasser.
Und
ich liebe. Jemand hat gesagt, daß man sein Leben stets so leben sollte,
als wäre dies der allerletzte Moment dieses Lebens. Jemand hat gesagt:
Lebe! Trotzdem starre ich aus meiner Gipsmaske hinaus auf das Spielfeld,
unbewegt. Lasse die wellen darüber- verschwommene, versoffene Fetzen
von Wahrnehmung.
Und
Vergangenheit.
Da
war ein Boot - . Gedankenfetzen, Dias: übermalt-, ich sage nicht mehr,
was ich sehe. Nur manchmal errät ER, Joseph meine Bilder, wenn er
das Salz meiner Tränen ausküßt und sagt, daß ich
meine Zustände nicht zu lange rauszögern soll. Zustände
sagt er, Frauen, sagt er nicht, aber denkt es.
Ich
überlege mich analysieren zu lassen, Joseph sagt, du warst doch beim
Arzt. Ich sage, daß ich mich dumpf fühle, ein riesiges Loch.
Du hast doch deine Pillen, sagt er. Und ich: Schau mich doch an. Und er:
Elizabeth, willst du mich ins Unglück stürzen? Ich verstehe nicht,
doch ich wasche mein Gesicht, ich kleide mich an. Er hat recht, er hat
wieder einmal einfach recht. „Er hat ja wieder einmal recht, er" hat Burkart
mehr als einmal gesagt und gelacht. Wir hatten über das Neubauviertel,
auf welches wir von unserm Balkon aus blickten, gestritten und Joseph hatte
allen Ernstes versucht meinen Bruder von dessen Vorzügen zu überzeugen.
Unserer Meinung war der Bau vollkommen mißlungen. Eine Bagatelle,
doch eine Erinnerung, die hochschwimmt- Nein, ER, Joseph, denkt
nicht, ER ist fleischgewordener Gedanke - einer ordnenden Gottheit. Was
haben wir gelacht, da, vor einem halben Jahrzehnt, tschsch, in der Küche
damals, mein Bruder, mein großer Bruder Burkart, Denise & ich,
was liebten wir diese wunderbare ironische, nonchalante Art unseres Trios.
Nie wirklich böse, doch zu komisch.. Gelacht hat er, Burkart, trotzdem
über IHN, über Joseph. Unter uns, wenn ich einen Schwips hatte,
fand ichs auch lustig. Das waren Zeiten frischen Gemüses und Kräuter
auf dem Küchenbalkon, ein Zimmer mit Denise und den Meerschweinchen,
vorallem dem schwarzen Weibchen, das Joseph so liebte- ein wolliges Knäuel,
das mit seinen Geschwistern um die Wette hüpfte, wetzte, pfiepte-
und immer im Gänsemarsch hinter die arme Mutter. „Lady Godiva" hiermit
taufe ich Dich, du Schönste und Beste, Einmalige auf den Namen „Lady
Godiva"- was haben wir uns gebogen, so ein Name. Lady Godiva! Wie ein Foto,
das sich im Entwicklungsbad der Dunkelkammer langsam immer deutlicher
zu erkennen gibt, erscheint dieser Moment, ein Bild, zeigt es sich vor
meinem geistigem Auge in allen Details: Joseph, gutaussehend, ernst, ein
bißchen pathetisch, doch zu später Stunde schon mit verrutschtem
Schlips und geöffnetem Kragen- seinem Vorstadtcharme war ich etwa
4 Wochen vorher sofort auf dem ersten Blick erlegen-: ehrgeizig aber nicht
so blutleer wie die meisten mittelklasse-Jungs und nicht ganz so hohl wie
der Vater meines Kindes. Vielleicht erschien Joseph manchmal eine Nummer
zu bemüht, doch er war nunmal nicht mit dem goldenem Löffel im
Mund geboren- wie er stets (ein bißchen oft für meinen
Geschmack) betonte. Schlicht: ich war unsterblich in ihn verliebt. Und
da standen wir auf dem Balkon in dieser Juni-Nacht: Joseph, Burkart, ich,
in der Tür mein Sohn- das wuselnde Quintett, das große wuschelige
Muttertier und ein glatter brauner Bock, der um seine Familie stolziert
ist. Ein seltsam einmütiges Bild: Die zwei Männer und der Junge
gaben den Tieren Namen. Wir hatten reichlich einen sitzen: Lady Godiva-
ER,
Joseph, braucht mich- manchmal huscht es wie ein Zwergenwesen durch meine
Gedanken, taucht auf und verschwindet blitzschnell. Diese Erscheinung ist
beunruhigend, doch sie weckt mich auf. Wie sonderbar, daß ich gar
nicht ertrunken bin. Ich presse meine Fingerspitzen zusammen, bis die Fingernägel
richtige Kuhlen zurückgelassen haben. Ich bin da.
Es
geht manchmal besser; heute z.B.. Heute trage ich diese Kleid mit den übergroßen
Ornamenten, dieses Kleid, in dem ich verschwinde & trinke großen
Champagner. Heute erreichst Du mich, Lady Godiva, mit Deinem Schalk im
Blick. Ich bin ein Schalentier & dennoch
ein
Weib - ganz ohne verbale Vorankündigung. Ich lasse mich auch
gerne langsam entkleiden, ich esse gern gut und ausführlich davor,
dabei und/oder danach.
„Dein
Zynismus macht dich noch ganz allein", sagen meine Freunde.
Wie
schlicht Existenz doch sein kann, Joseph ist doch auch nur mehr oder minder
ein Geck. Er ist wirklich einer- und sonst, mir wird schwindlig von
zuviel denken, ich weiß ich gar nichts mehr so genau. Uns Menschen
verbindet fürnehmlich eines: Das Wissen von der absoluten Einsamkeit
eines Jeden einzelnen. Menschen, Einsame dieser Erde.
Manchmal
scheint es absurd, daß man durch fressen, vögeln, ah: und kochen,
nicht vergessen, sich daran erinnert, daß man lebt. Am Leben sein-
schön. Ertrinken, -nd sein. Auch ein Partizip.
Alles
mögliche: Sein.
Solang
du bist, bist du.
Depressiv,
fragt Claude?
Ich
antworte, daß ich es in Ordnung finde, Depression als Urzustand aufzufassen
und alles andere als Abweichung von der Norm. Und vorallem praktisch.
Ich
bin froh, daß ich Luft kriege. Unter Wasser.
Zu
den Booten gehe ich nicht mehr. Nie mehr Wellen schlagen- und früher
ging ich so gern hinaus und schaute nicht nur zu. War ein brauchbarer Vorschotmann,
kann das sein?
Ich
bleibe lieber zu Haus & übe zu atmen-
Oder
fliehe, ein Loch im Angstnetz und durch. Mit dem Wagen- Mein Gesicht im
Fenster des Wagens nimmt so merkwürdige Formen an, die mit Wirklichkeit
nichts zu tun haben, aber diese Formen SIND wirklich. Das Zerfließen
von Form. Wer meint, daß dagegen bestimmte Gegenmaßnahmen wie
beten oder kleine runde Pillen helfen, hat sie nie probiert- diese
Wirklichkeit.
Das
ist mein Leben & doch habe ich mir vorgenommen, mich zu verschweigen.
ER erwartet diese besondere Nacht.
Lady
Godiva lächelt vieldeutig. Weil sie ein Selbstbewußtsein hat.
Scheinbar genießt sie mein Grübeln, meine Selbstgespräche.
Lady
Godiva sieht mich an,schelmisch, sie zuzelt an einem Stengel Petersilienkraut,
ihre Augen blitzen, ihr schwarzes Fell glänzt,. Sie sieht mich an,
herausfordernd, versteht. Liest meine Gedanken. Wenn Ihr wissen wollt,
was ich denke, was ich nicht einmal selber - Fragt sie. Wenn Ihr sie versteht,
seid ihr gut, Lady Godiva nämlich ist ein Meerschwein.
Sekunde,
du bist so jung faß mich an, setze Anker, daß ich niemals entschwinde-
Wir
leeren unsere Gläser. Eigentlich ist Kristall zu wuchtig für
Champagner- doch an diesen hier.."haftet Blut vergangener..." , sagt Joseph.
Dann
ist er ER & ich merke, wie mir etwas gefriert und zwinge mich zu lächeln.
„..Generationen", sagt er. Und mein Lächeln schwimmt leichter. Nicht
mehr so teigig, leichter. Um Kilos leichter. Ich balanciere den Kelch auf
meinem Handrücken, necke Joseph, bin seine Nymphe, seine Jugendstil-,
lasse meine Augen blitzen, Wangenknochen werden höher, lasse Erleichterung
verwandeln in Jugend—
ER
& kalt:" wie gut, daß du nicht einen Koller gekriegt hast in
der Nacht."
Der
Kristall wiegt sofort schwer & ER saugt Kälte in jedem Atem.
Wir,
Uns- das sind neue und gewichtige Worte & ich muß lernen, sie
zu gebrauchen. Seit jener Nacht -
Ich
spüre, wie unbekannte Hitze mich durchströmt, jetzt existiert
absolut gar nichts außer uns . Ich fließe und spüre seine
heiße Kälte, seine arktische Glut. Jetzt ist er Alles &
alles stimmt. 3, 4 mal dringt ER in mich , wächst & schrumpft,
säht Küsse von meinen Lidern abwärts, über meinen Hals,
meine Brüste, Nabel, lotet und lutscht meine Tiefen im Cunnilingus,
flatternd schnell, fleischig saft, fetter Fühler in meiner Orchidee
und entschafft mich. Dreht mich & durchfährt mich, die Entwordene,
Aufgelöste, entbindet mich von weiteren Fragen, wer ich bin- oder
was. Schließlich im Halbschlaf träume ich. Ich träume.
Ich
sehe nur noch meine Fangzähne
und
eine Schürze, totgeweint
wie
Menschen unter Wasser, umspült von der See, die den Grund aufarbeitet,
doch das Gesicht: bleibt.
Von
meinem eigenem Schrei wach ich auf. Ich höre nicht auf, unendlich
schreie ich. Schließlich schüttelt ER mich. Zigarette, da nimm
was zur Beruhigung, ein Glas Rotwein. Ich verschütte mein halbleeres
Glas auf dem taubengrauen Satinbezug. In der Pfütze schlafe ich ein.
Ein
Tag wie der Nächste. Steh auf. Zumindest das. Tu zumindest irgendetwas,
pfleg dich, geh unter Leute: Sagt ER. Ein Tag wie der Nächste - schlurfe
durch Zeit, die fremd und sehe Menschen hinter Glas.
Es
ist uns, sagt ER, unser Heim & wir & sogar: Wir sollten vielleicht
deinen Sohn holen...
Ich
schleiche in den Wald, setzte mich in die Bahn. Fahre. Ein Gesicht. Durchfährt
die Zeit. Ich sehe Mammuts, Archeopterix, das ganze Gelächter der
Götter, Delphine, Wale, Rochen auf dem Meeresgrund. 5 Cognac im Bistro
, rufe Bert, den Chauffeur, an. Der holt mich ab.
Lady
Godiva, gutes Tier, was lächelst du so? Es ist ein halbes Jahrzehnt
her, als du geboren, mit deinen Brüdern und Schwestern auf dem Balkon
unserer ersten Wohnung - Ein reizendes Tier hat Joseph gesagt, so charmant,
siehst du, wie sie sich putzt - eine richtige Dame.
So
hatten wir die kleine Lady behalten, als Joseph daraufhin einzog. Denise
nahm die Geschwister mit.
Jeden
Morgen, wenn Joseph uns einen Cafe gemacht hatte, er stand schon immer
vor mir auf, stellte Lady Godiva sich auf ihre Hinterbeinchen, stützte
die Vorderpfoten auf den Blumentopf - und begrüßte ihn.
Einmal
habe ich dem zärtlichen Dialog zwischen Lady Godiva und Joseph belauscht;
ein intimer Moment, etwas Kostbares, in mir verschlossen. Denn hätte
ER, Joseph je erfahren , wie ich hörte, sein Flüstern, sein Bariton
noch brüchiger als sonst... Wer hat nochmal gesagt, daß Vibrato
und Zärtlichkeit..Er war so zart plötzlich, wie ein Gesicht auf
körnigem Papier entwickelt. Schwarz-weiß und Lady Godiva in
Farbe, reizend. Meine Süße, mein Tier, mon Coeur. Mon Coeur
- das war bisher nur ich gewesen, Josephs mon coeur: Als hätte er
einen Kreis gezogen, einen magischen. Joseph, Lady Godiva, ich. Und er
hat das für sich gemacht. Heimlich. Wie ich ihn liebte..
Lady
Godiva Lady Godiva- wie schaust du jetzt? Das Meerschweinchen zuzelt an
einem Petersilienstengel. Und ihr Blick dabei: skeptisch. Und hektisch.
Sie scheint etwas zu verfolgen mit ihren runden dunklen Augen.
Lady
Godiva, was ist? Joseph hat das Zimmer betreten- das Zimmer, zuvor Burkarts
Arbeitszimmer, mit Blick aufs Meer. Er sieht, daß die Vorhänge
offen stehen. Na, keine Angst vor der See? Fragt er mich & klopft
auf meine Schulter (mit Anerkennung). Du machst Fortschritte.
Hmm,
kleine Lady... doch das Tier weicht zurück, fletscht die Zähne.
Is was? Ich weiß nicht. Als ob ich nicht schon wenig genug
wüßte. Manchmal scheint das ganze Leben an Bord eines Schiffes
stattzufinden. Ständig Schwankungen. Ich suche- und halte mich fest,
greife ins Tuch.
Auf
der Ottomane, auf derselben Auktion wie einst das Klimtkleid in Wien erstanden,
drücke ich mir den Eisbeutel auf die Beule. Ich bin nicht alleine
„es muß komisch gewesen sein", - „du mit der Gardinenstange auf dem
Kopf, eingewickelt in" - ein Segel und ich ertrinke „sie dämmert weg"
sagt Claude, der auch da ist- ich ertrinke, eingeklemmt zwischen dem Baum
und der Mast - jemand reicht mir Cafe und ich sitze. Zwischen meinem Mann
und meinem Freund, der auch unser Anwalt ist. Vor meinen Füßen
kauert, ja kniet wie eine um Vergebung flehende Maria Magdalena die Künstlerin,
die Keramikerin ist. Als wäre ich der Sohn des Herrn befehle ich :
Steh auf. Sie gehorcht. Ich frage, ob ich in der Realität sei und
Claude sagt, ob man nicht einen Arzt, oder zumindest nach Xavier, der ja
auch- und Joseph sagt, du kennst sie doch- aber es wird besser. Nach
Burkarts Tod war es wirklich schlimm mit Elizabeths Psychose.
So
nennt ER, Joseph, meine Zustände. Psychose.
Die
Künstlerin, die Keramikerin, fühlt sich unwohl. Sie rutscht auf
dem Stuhl herum & schwitzt.
Kümmer
Dich um das Meerschwein, sage ich, damit sie mir nicht zuviel vor schwitzt.
Und:
Für heute hätten wir genug, sage ich & drehe mich einfach
um.
Es
geht besser- die Gardinen sind abgehängt, ich werde mich nicht
so leicht einschüchtern lassen. Ich lerne an Bord zu laufen. Ja, ich
lerne schnell.
Ich
bemerke, wie Joseph mich anschaut. Ich bemerke, wie Lady Godiva Joseph
anschaut. Wir beobachten einander.
Außerdem
haben wir jetzt fast ständig Besuch.
„Ja,
jetzt kommt das ganze Ambiente richtig zur Geltung. Das Haus auf dem Hügel,
dieser Traumgarten mit seinem Teich, dem „Biotop", die Klippen mit den
kreisenden Möven"..."Diese Jahreszeit, schaut den dramatischen Himmel,
die See, früher , da kamen einige der Fischerboote nicht mehr"...
das war ein bißchen zuviel & ich werde vorsichtig beäugt.
Ich reagiere nicht. Das habe ich einstudiert. Inzwischen kann ichs auch:
Nicht reagieren.
Lady
Godiva, du Tier- was schaust Du so. Sie hat Angst, sagt wer- oder : Sie
ist böse. Warüber. Na, Tier - unser Freund, Xavier, der Arzt
ist, nimmt sie auf den Schoß und beruhigt sie. Schließlich
knabbert Lady Godiva an dem Stück Gurke, das ihr der Freund hinhält
und putzt sich - „So reizend." Ruft sie. „Ach nein..", sie flötet-
ich weiß gar nicht, wessen Freundin sie ist, doch sie ist da, fühlt
sich ganz wie zuhause, benimmt sich auch so, die Keramikerin. „Sie sucht
vielleicht Studienobjekte, was weiß ich, was solls" sagt Joseph eines
Abends im Bett, als ich mich darüber aufrege. Seit wann bist du so
großzügig?
Keine
Antwort & bald ziehen mich tiefe Träume nieder in Neptuns Reich.
Lady
Godiva hat sich angewohnt, IHN zu beißen, wenn er sie hochnimmt,
ihr den Backenbart entlangstreichelt. Sie klappert mit den Zähnen
und, wenn Joseph sie anfaßt, dann schnappt sie zu. Da grinst sie,
schüttelt ihr glänzend schwarzes Fell- danach schaut sie lustig,
unschuldig;eben,wie ein Meerschwein nur schauen kann. Schaut so, als wäre
nichts gewesen.
Ich
nehme den Besen, mache Spinnweben von der Decke. Ich habe Farbe besorgt
& ER ist froh, daß ich aufgewacht bin. Deine Psychose wird besser,
sagt Joseph dann. Dann wird er wieder ER und sein Wort Befehl.
Es
ist das Vergangene, das ich nicht ertragen kann.
Alles
weiß, wünsch ich mir, ohne Farben, Vergangenheit, Eigenschaft.
Morgen
ist der Termin, sagt er. Hättest bis danach eigentlich auch noch warten
können. Aber, sage ich, ich dachte doch, daß alles Klar sei.
Ich
ernte einen abgrundtiefen Blick: Lady Godiva starrt mich an - eine Mischung
aus böse, erstaunt..? Tiefer, sie sieht mich an. Und lächelt
maliziös.
Ich
schleiche nicht mehr in den Wald, lebe und wohne nicht mehr im Interim.
Denn uns steht alles zu. Ich gehe aufrecht. Auch wenn mein Gesicht die
Maske aus Gips geblieben ist.
Wir
leben in Burkarts Villa, die er entworfen und deren Räume ich frisch
gestrichen habe, wir haben gründlich aufgeräumt, viele Antiquitäten,
Designermöbel verkauft, einiges meinem Sohn geschickt, Platz geschafft.
Es ist hell und, während wir diese unverfrorene und eklektizistische
Mischung von Barock und Bauhausgemälden lieben und in den anderen
Räumen behalten haben, zieren den kleinen Salon nichts als meine besten
Fotografien. Meine Reisen fanden im Pleistozän irgendwann nach meinem
16. Geburtstag und vor 20 000 Jahren statt. Einmal habe ich meinen dreijährigen
Buben nach Chile mitgeschleppt, das war immer noch Pleistozän. Burkhart
fing an ein erfolgreicher Architekt zu werden. Alles graue Vorzeit.
Prä- Joseph.
Diese
Bilder -. Joseph sieht sich um, dreht sich in der Mitte des Raumes um sich
selbst und schweigt, sagt dann „der alte Knabe da ist gut", sagt
er.. Der peruanische Curandero - erzählt vom Energieaustausch
zwischen Mensch und Tier. Ich höre ihn sprechen, während
Josephs „Alter Knabe" im Raum steht, wie eine Wolke unter der Decke schwebt,
höre ihn mit rauher Stimme in kehligem Spanisch - „vorallem das Meerschweinchen
ist fähig, negative Energie auf sich zu ziehen". Ich erinnere mich
an eine Heilung, während er dem Patienten das Tier auf den Bauch gesetzt
hatte. Später wurde das Tier getötet und geöffnet. Im Bauchraum
des Cuys las er die Diagnose. Das Ritual war langwierig, mir ganz schlecht
von dieser limpia del cuy.
Lady
Godiva grast. Weit genug von meinen Gedanken entfernt, doch ich kann sie
sehen.
Lady
Godiva - ich höre, was du denkst:
Es
gibt nur verstehen oder überleben
- aber
Lady, Lady Godiva! Du hast jetzt diesen Garten, du bist viel freier als
vorher, du...
Lady
Godiva sitzt in der Ecke ihrer Kiste & straft mich mit Verachtung.
Abends
auf der Verandadie Freunde & wir.
Wir
hätten nicht gedacht, daß er das wirklich tun würde
sagen
sie und ER: wie oft hat Burkart schon davon gesprochen, wir sind
selber bestürzt, daß alles so schnell ging..
Xavier,
der Arzt, ein sympatischer ewiger Junge, trotz seiner grauen Schläfen,
gestikuliert mit viel zu großen schlaksigen Henden, Xavier aufgebracht,
fast beleidigt (um seine Chance zu helfen gebracht) wiederholt trotzdem
, daß man in diesem Stadium ja noch was hätte tun können.
Noch keine Metastasen. Der Arzt wird nicht müde, zu wiederholen, daß
man noch was hätte tun können, keine Metastasen - einsam
in die Luft, um seinen Freund zu holen. Schluchzt. Xavier.
Für
Ausbrüche ist Xavier zuständig, wir andern schweigen.
Dabei
senken sich die Blicke auf den frisch versiegelten Boden der Veranda &
wir holen eine andere Flasche aus dem Keller, dessen ehemaliger Besitzer
gerade irgendwo auf dem Meeresboden treibt.
Ein
seltsamer Wunsch zu sterben, ein Gehirntumor mag die Sinne trüben,
eine männliche Ophelia - nein, das ging nochmal irgendwie anders,
-
In
diesen Nächten wird der Kamin entfacht und bei Calvados spinnt sich
das Gespräch dann um das Boot, und schließlich um unsere
Boote, Boote, Schiffe im Allgemeinen, Segeln , über kleinere
Orte in den Bergen, wo man nach einem Törn um die Küste noch
angenehm und in Ruhe essen kann . Immer öfter bleibt unser Besuch
über Nacht.
Und
am nächsten Tag , bei einem kleinen späten Frühstück
sitzen, wenn die Arbeit sie fort läßt, Claude, Xavier,
die Rechtsanwälte, das Künstlerehepaar und so weiter zusammen
und raisonnieren: Das Boot war gekäntert, nachdem Burkhardt sich
mit
der Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen, in die rauhe See hat treiben
lassen. Den Schwertkasten mit einer Axt zerhackt, damit Wasser einläuft,
Wrack und Axt wurden 48 Stunden später entdeckt, die Leiche blieb
verschollen, nachdem seine einzige Verwandte, seine Schwester Elizabeth
den Todkranken vermißt gemeldet hatte. Alles weitere bekannt.
Ich
kenne diese Gespräche, jedes Wort, jede Miene auswendig. Ich kenne
sie, wie alle Beteiligten sie kennen. Das Erzählen dieser Geschichte
gleicht einem Mantra,einer Beschwörungsformel oder einer Landkarte
der Aboriginies bei ihrem Walkabout- ich muß lachen, schließlich
ist es tatsächlich angenehm für unsere Freunde, diese Wallfahrt
zu den Hinterbliebenen und ihren Schätzen... Das Mantra dazu
der Schlüssel..
die
Künstlerin, die Keramikerin, sagt, wir müssen besser achtgeben,
daß niemand sich so einsam- da geht Claude, unser Anwalt und Freund
in die Luft, man konnte den Unglückseligen doch nicht anbinden
- um Himmelswillen, dann ein anderer, als ob alles nicht tragisch genug
sei. Das ist Josephs Stichwort: Er schildert in Einzelheiten, was er
meine Psychose nennt und was er mit mir hat alles durchmachen müssen
und endet damit, daß es allmählich besser wird, jetzt hat sie
nicht mehr ständig ihren Koller- aber sie wird immer dünner,
immer weniger-
Aller
mustern mich und schweigen.
Darauf
folgt mein Einsatz; ich sage, daß ich noch einen Cafe mache. Meist
begleitet mich Claude in die Küche und fragt, ob alles in Ordnung
sei, worauf ich gewöhnlich sage, danke, es geht.
Er
streichelt meine Schultern und : wenn Du was brauchst...
Lady
Godiva, was lächelst du so bös...Sie ist ein kleines nettes Meerschweinchen,
sagt einer der Gäste und nimmt sie hoch. Nur Joseph kann sie nicht
leiden, sagt jemand anders. Was? Das ist aber seltsam, wo er sie
damals behalten...und ich denke, wie lange her diese zärtlichen Morgengespräche
zwischen IHM & dem Tierchen waren. Das war eine unschuldige Zeit in
einem anderen Leben.
Ein
Spiel ist, daß sie nach ein paar Flaschen Wein Lady Godiva
auf den Tisch setzen und versuchen aus dem aufgeregtem Gefiepe dieses Geschöpfes
etwas zu verstehen, doch es sind Menschen. Sie vernehmen eh das, was sie
sich vorgenommen haben zu sehen und zu hören. Also kein Ergebnis.
„Bei der Sphinx konnte man das Rätsel lösen"
„Was
für ein Rätsel soll es geben?" fragt Xavier und ich fühle
mich so schläfrig, so müde. „Was ist mit dir" fragen sie mich
und ich sage, während ich den Schweiß mit dem Handrücken
von der Stirn streiche, „das Ganze, die Aufregung, die Beruhigungsmittel,
Alles". Xavier holt ein Plaid & legt es um meine Schultern. Jemand
setzt das Pelztierchen dann zurück in seine Kiste & widmet sich
z.B. dem Anschneiden seiner Zigarre und seinem Spiegelbild in blank geputzten
Schuhen.
Wir
könnten sie zu deinem Sohn geben, sagt ER. Eines Abends, als wir allein
sind.
„Sie
mag mich nicht mehr"- ich weiß, sage ich, sie mag dich nicht mehr.
Wundert dich das?
Ich
versuche genauso zu schauen wie Lady Godiva. Voll Verachtung. ER lacht
kalt.
Sie
sitzen auf der Terrasse, einer der angenehmen Herbsttage, die noch den
Abglanz des Sommers spiegeln. Gold und rot und ein spätes, schweres
Gefühl mischt sich in süße Düfte der letzten Kräuterblüten.
„Die Energie des Salbei ist futsch, wenn Du ihn mit Blüte pflückst.."
Man hört lachen. „Es wird Zeit, abzusegeln".
„Oder
den Winter bleiben." Die Keramikerin geht mit Claude in den Keller.
Flaschen
werden geöffnet.
Das
wird ein lustiger Winter-
Mein
Sohn geht in die Vereinigten Staaten, sag ich, Joseph, das ist besser.
Wieso ? Und seine Augen weiten sich - aber den runden Blick kriegt er nicht
hin. Den kann nur ein kleines Tier.
Eine
Eidechse stoppt , blickt mit erhobenem Kopf in die Runde, bevor sie in
der Mauer verschwindet. Malerisch, die frisch aufgeschichteten Steine.
„Ihr
solltet eine Auberge aufmachen," höre ich, „dann seid ihr nicht so
allein."
„Ach,
ihr bleibt ja da"- das kam von Josef.
Lady
Godiva, was schaust du so?
„Den
Rock kann ich wegschmeißen, dieses dumme Vieh," die Künstlerin
springt auf, zu spät um das kleine Malheur auf ihrem mauvefarbenem
Knitterseidenrock ungeschehen zu machen. Unsanft setzt sie das Tier
ab.
Auf
den Tisch.
Alle
lachen, doch die Stimmung ist hin. Lady Godiva stemmt ihre Beinchen durch
und klappert mit den Zähen. „Es hört sich an wie Knochen - eines
Skeletts," sagt wer. „Es klingt, als ob sie friert", sage ich.
„Ein
kleines Meerschweinchen, seid nicht albern," sagt schließlich Claude
& setzt Lady Godiva in ihre Kiste.
Und
:"seid nicht so nervös. Das macht keinen guten Eindruck".
Karten
landen auf dem Tisch.
Wein
, Amuse gueulles.
Ich
löse mich aus der Runde.
Wie
aus Eis mein Gesicht- tänzel ich durch den Garten. Ich weiß,
daß sie mir von der Terrasse aus zusehen . Ich weiß, wie ich
in meinem schwingendem Kleinmädchenrock aussehe mit der durchsichtigen
Bluse und der lavendelfarbenen Strickjacke... Ich weiß und ich erinnere
mich. Ja, ich erinnere mich. Ich bewege mich leichtfüßig, feenhaft,
fast schwerelos auf den Teich zu. Ich mache mir so meine Gedanken.
Aber
alles zu seiner Zeit.
p.99
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