(Preis für Prosa des Münchner Literaturbüros 1995)
Ein leises Summen. Sie sagen, das sei der Wind. Viele jedenfalls sagen das so. Die Meisten. Reden von Wind, von Sonne, von Meer,von einer Tür, die vom Wind auf & zu geschlagen, einem Knarzen, davon, wie es sich anhört, wenn ein Bootskörper im Wasser dümpelt, dabei an die Mole schlägt. Dumm dum platsch dumm dum-- . Aber sie sagen das nur. Wir wissen es besser, ganz genau; hierdrin gibts keinen Wind. Es werden die Luftfilter sein.Oder die Bänder der Geräuschgeneratoren. Ja, ziemlich fein, was. Geräuschgeneratoren. Für jedes Wetter,jedes Ambiente. - Wind.. Doch nicht die traumsüßen Gedanken beflecken. Wie ein Laken nach Verlust der Unschuld..Wie das Dorf wieder getanzt hat- auf der Weitsehwand. Aufstehn, Wand aus. Das zarte Lindgrün über der Metallschale kommt zum Vorschein. Wir aber holen unsere Bilder
aus einem anderen Jahrhundert, von einer anderen Welt. Ohne Weitsehwand.Ohne
Worte. Ohne Generatoren. Der einzige Generator ist unser Wissen, daß
wir von Anbeginn an- Wir. Tänze durch Ebenen. Wir. Ohne irgendwas
außer uns selbst.
Wir tun es unterm Luftfilter.
Aber nie mehr in diesem fliederfarbenem Liebeszimmer. All das Getue mit
Wartenummern und dann die scheelen Blicke. Wenn man da rein geht &
sagt, klar, wir gehn da rein und machen was Mann und Frau nunmal machen.
Und machen das ohne Mehren und spielen das Spiel auf die Weise der Tiere.
Doch was sind Tiere? Glotzen, sich abwenden, kichern tun sie, wenn
man vom Vierbeiner spricht. Vom Zottelwesen mit Geschlecht. Das trägt
den Sack unverdeckt und den Penis im Schaft, das lebt , streckt, dehnt
und rekelt, das wimmert und zirpt und giert, säugt, geckert,
heult und fiept. Das gibt es doch nicht. Durchsichtiges Schimmern
eines Flügels - als Ahnung. Oh ja, eine Friedenstaube, der Pfingstochse,
das goldene Kalb. Die heilige Kuh hat niemals defäkiert und sich rein
ideel vermeert.
Diese Düse ist das Tor nach Louisiana. Ich sage, ich habe einen Südstaatenfilm gesehen, da war die Stimmung so wie in meinem Innern. Sage ich. Er sagt, das gefällt ihm, Wir haben mehrere Südstaatenfilme gesehen. Nächtelang reden wir, die Düse rauscht. Und transportiert uns in burbonschwangere schwüle Nächte auf Veranden, auf Schaukelstühlen. Sie hören den Boden
knarzen, den Rhythmus der Schaukelstuhlmusik. Das Kleid klebt an ihrem
Leib. Drückende Hitze hängt über ihnen, umfängt sie,
durchdringt und verformt, macht durchsichtig, durchgängig, gummiweich,
willenlos. Dieses Fähnchen läßt den Leib darunter
durchscheinen. Sie sagt, daß sie üppig geworden ist in
den letzten Jahren. Er grinst dreckig. Er hat sich tagelang nicht rasiert.
Sie fühlen sich in einen Schwarzweißfilm, stehlen sich in diese
Haut. Sie lieben sich in diesen Film hinein. Er schraubt sich in sie hinein.
Langsam, fordernd, mit leichten Stößen, durchdringt Pforten,
bohrt weiter, schlüpft, kriecht in sie hinein. Ganz. Öffnet
sanft fordernd die Türen zu ihrem Süden, salzig leckt und Pore
auf Pore. Überall werden sie Welt, ein Universum, ufern aus, gehen
über die Äcker, bevölkern die Welt mit Musik, mit träge-
schlampigen Blicken, draußen die schwarze Nachbarin, die Baumwollfelder,
der Strom. Weite, Schwere. - Moskitos.
Wir unterhalb der Öffnung, blasen Zigarettenrauch hinaus, lehnen ineinander. Im Traumfilm. Lebensfilm. Vereinigung. Und das Holzhaus mit den hellblauen Wänden innen atmet schwer. Don ist bei der Sicherheit.
Es wird immer schwerer, die Leute zu beschäftigen, beschwichtigen,
beruhigen. Wenn die Jungs randalieren, mit Dosen schmeißen. Mit
dem kleinen Betäubungsrevolver ausgestattet, dreht er seine Runden.
Helm & Schild nur für äußerste Notfälle. Sanfte
Kontrolle heißt die Parole. Sanfte -
Er war bestraft worden später. Der Onkel. Mit der allergrößten Ächtung. Man spricht nicht über das da draußen. Deshalb hocken wir uns unter die Düse. Ich bin schon fast taub. Doch die Gafahr, daß mein rapide schlechter werdendes Gehör hier Anstoß findet, ist Null. Ich verteile Pillen an die Willigen. Pillen zur Bestrafung. In meiner Freizeit hocke ich mit Don unter der Düse . Keinen störts. Daß wir uns da lieben, stört mittlerweile auch keinen. Denn in die Liebeszimmer gehn wir nicht. Wir sind in Louisiana. Unser gehört der Mond, diese Wolkenschwaden von rosa bis verboten apfelgrün über diesem weiten flachen Himmel. Wir haben unseren Blues und unsere Leere. Wir leibern uns in diese Entropie hinein, in ein kleines Haus, vollgestellt, überwuchert von Tieren; ein paar Geckos kamen zu erst, Schaben. Weil wir weder putzen noch abwaschen. Wir lieben uns, rollen ineinander vom Bett auf den Teppich. Das Messingestell wackelt dann gefährlich und wir verheddern uns im Moskitonetz, das von der Decke runterkommt. Wir sitzen auf der Veranda. Wir hören das Summen der Arbeiter in den Feldern. Wir schaukeln in unseren Stühlen. Wir tragen mal Hüte und mal keine. Wir erzählen uns davon, wie wir uns auf dem Teppich wälzen, wir erzählen uns, wie wir auf der Terrasse schaukeln, wir erzählen uns, daß heute zwei LKW an unserer Hütte vorbei über die Brücke gedonnert sind. Wir reden von den hohen Stimmen des Chores, die von der Kirche über das müde breite Feld zu uns dringen. Wir reden darüber, daß wir gestern über diesen ordentlichen Südstaatenwhiskeyrausch geredet haben. Wir reden davon, daß das Zeug Kopfweh macht und verrückt. Don, und dann hast du mich geschlagen. Wieso du? Wir reden über genau diesen Angstschweiß, über die aufgeplatzte Augenbraue, über Eisumschläge, darüber, wie schwer es ist Eis zu bekommen, wir reden darüber,daß er, Don, sich den roten Dodge von Jake geliehen hat um in die Stadt zu fahren, wegen dem Eis. Warum sind wir so verrückt und tun all diese Dinge, dabei rekeln wir uns unterm notdürftig geflickten Moskitonetz, drehn am Radio und reden über Eifersucht, über die Schaben in der Spüle. Die hocken mittlerweile auf den Tellern. Die Geckos sind auch schon zutraulich geworden. Mit ihren Flatschfingern saugen sie sich an unseren Schränken fest. Es zirpt und girrt, Backen blähen, Bäuche dunsen, Zikaden. Schwer- schwül. Vorgewitterlich. Ein Kleid mit Tupfen, ein Lied, Fotografien in Spiegelfassungen gesteckt. Grußkarten. Veilchen, Rosen, ein paar Tanzschritte, eine Drehung, du hebst mich, um faßtmeine Taille, Don, ziehst mich zu dir. Ich lasse geschehen, sinke hinein. Dein heißer Atem an meinem Ohr. Ich höre nicht, was du sagst, ich fühle es. Wir haben ein Lager da aufgebaut. Mit zwei Decken. Das ist unser Platz. Sie lassen uns zufrieden. Weil wir leise sind. Lärm um uns. Die Seinsmaschine läuft. Der Hase läuft, der Igel rollt sich ein, der Hund bellt, die Nachtigall singt. Das kommt von zuviel glücklichmachendem Brot, sagen viele & lassen mich gewähren. Die Toten werden entsorgt.
Still. Plötzlich ist einer nicht mehr da. Wer tot ist, entscheidet
die Kommission. Wie sie entscheiden, hängt von Vielem ab. Von der
Zahl der Vormonatstoten, von der Menge an Monatsvorräten, an Monatsrügen,
Monatsplatz und Monatsbeleuchtung. Im sogenannten Frühjahr verschwinden
mehr. Weil da erfahrungsgemäß mehr Platz gebraucht wird. Für
neue Kinder und - Tänze. Die Körper der Toten werden durch eine
Schleuse nach außen gelassen. Ob sich jemand aus seinem Kleidersack
befreit hat und da draußen weiterläuft & lebt, weiß
niemand. Es kursieren Gerüchte. Abenteuerliche Fabeln, abstoßenste
Versionen ziehen von Mund zu Ohr, von Ohr zu Mund, verwandeln
sich, wachsen und leben. Frisch gegossen, gepflegt, ab und zu gestutzt,
um weiter zu wuchern und neue Früchte zu gebären.
"Was will man " sagt Don und "ich will alles" sagt die Stinkergöre "geh doch raus in diese, gelbe - "sagt der Onkel und daran haben wir uns gewöhnt. Wir haben uns an den Dreikampf gewöhnt, an die Ächtung, das Schmollen, das Leben, das Schweigen und dann das : Kommt daher, angehüpft, steht auf einem Bein, storchig, unbotmäßig und spielt nicht mit im Spiel, das eingeübt, sondern verkündet: Sie werde, jawohl sie werde da rausgehen und den Kleidersackmann mal fragen, was zum Teufel da eigentlich los ist. Ob das giftig ist oder nicht, ob die Geschichten stimmen, ob es Tiere gibt, die einen fressen & die Genitalien für jedermann sichtbar durch die Gehend schwenken und ob es da Zeit und Sterben gibt und was sonst eben alles. Jawohl. Also, man hört entweder zu, wenn sie sagt , daß sie alles will und man denke gefälligst über ihre Wünsche nach oder man öffne ihr die Schleuse. Verlegenheit. Verlegene Blicke auf den Boden, Verlegenes Nippen an den Maiweinstrohhalmen. Kinder werden nicht bestraft. Es macht Kopfweh. Starker Tobak. Und ein Kippen zieht sich wellengleich durch die ganze Einheit. Das- An diesem Abend und die darauffolgende Woche stieg der Konsum um das zehnfache an. Selbst wir sind ins Kinovideo gegangen. Ein Raum, gleicht einer Bar, an jeder Wand läuft ein anderer Film. Dazu Laserlightshow unterlegt mit sanfter Musik. Wir haben uns vom Monitorennebel so einrauschen lassen, daß wir ein paar Tage lang alles vergaßen. Ein paar Tage und dann er, Don- eines graugrünen Morgens, knabbert in mein Ohrläppchen, ein Wort: Louisiana? Lousiana! Wieder unter die Düse. Zwei Decken , ein paar aufbereitete Stummel Tabak, den mit Wasser gestreckten Whiskey in der Thermoskanne. Die Tür zum Haus stand offen. Und das Chaos noch etliche Spuren gewaltiger. Ratten hatten inzwischen das Domizil entdeckt, sich diverser Speisereste bedient. Die Kaffeekanne ausgeschüttet über den Teppich. Ein fetter Ochsenfrosch fühlt sich durch die unerwarteten Eindringlinge gestört und hüpft über die Schwelle ins Freie. Von außen gleißendes Licht. Sie nimmt den Besen, ein alter angestaubter Hexenbesen, sagt er, und kehrt den Unrat über die Schwelle. Quieken, Pfeifen, Auseinanderspringen. Es wackelt etwas Dunkles in der Lampenschale - eine verirrte Schlange. Fegen, die Decke entlang, Matratzen werden gewendet. In einer Schale Papier verbrannt. Rauch. Rußige Gesichter. Verlegen streicht sie über die Schürze. So habe ich mir aber nicht - tschtt! Macht er und beugt sich zu einem filmreifen Kuß über sie. Er riecht nach Maschinenöl. Hab die Zylinderkopfdichtungen festgemacht, am Trekker, sagt er und hört nicht auf nach Öl zu riechen. Seine Ärmel aufgekrempelt, Wie Äste treten die Adern hervor. Umfaßt sie, sie entwischt. Aber, Fangen, Kichern und die Tür ist noch nicht zu. Er wird zum Baum. Auf der Schwelle bläht der Ochsenfrosch die Backen. Mittagspause. Eine eindrucksvolle
sogenannte Junisonne steht über den lindgrünen Wänden. Wir
unter der Düse.
Was sie ein paar Tage später
allerdings vorfanden , ging entschieden zu weit. Wieder war die Luft schwer,
wieder hing der weite Himmel voller träger trächtiger Wolken,
wieder stand der Zeiger der Lust, wieder war man im Feuchtbiotop, wieder
quakten, balzten die Frösche. Ohrenbetäubendes Knarren. Das Werben
der Männchen. Fleckige Bäuche, die pumpen, Blasen seitlich der
Mäuler. Das ging zu weit, war das Bett zum Teich, den Leich abzulegen-
doch nicht für -Frösche. Wieder mußte der Besen her, wieder
wurden die Matratzen gewendet, wieder die Schlange aus ihrem Nest, der
Lampenschale, wieder die Ratten und Hörnchen über die Schwelle
gefegt. Wieder geräuchert gegen Moskitos, Libellen. Wieder Erschöpfung
und Arbeit. Und es hatte diesmal weit länger gedauert, bis sie zu
einander gefunden, sich einander ausliefern, einander verzehren konnten.
Doch war es nicht ganz so selbstvergessen, nicht so verliebt konzentriert,
daß eine Welt hätte untergehen können nebenbei. Oder zwei.
Nein, stets ein Auge auf die Vorgänge im Raum gerichtet, liebten sie
sich mehrmals. Das süße Reiben in ihrer Innenseite spürte
sie und er den kräftig zupackenden, schmatzigen Ritt ihrer inwendigen
Küsse, sie wälzten sich und schließlich trug sie der Strom
dann doch noch fort und brach einmal wieder alle Dämme. Und doch -
war der Anstieg auf diesen Gipfel schon sehr mühevoll. Und nur ihrer
Liebesgeduld, der Kenntnis all der köstlichen Sinneseindrücke,
dieser beharrlichen Vorfreude war ihr glückliches Ende zu verdanken.
Das wußten sie auch beide und deshalb wohnten sie einander besonders
lange bei. Sie gab ihn, obwohl bereits erschlafft, noch nicht frei, wissend,
daß alles ein Ende haben und dann-
Das Mädchen hat sich
versteckt. Vor dem Onkel sagt man. Ja, eine schöne Bescherung und
da dachte man doch schon, die sei tatsächlich durch die Schleuse ,die
Kleine. Ich habe sie dann unter einer Generatorkuppel gefunden, eingerollt,
schlafend. Sie war weit gelaufen, 12 Meilen, fast die ganze Zone. Ganz
schön weit. Ein seltsames Mädchen. Lästig, sehr lästig.
Sie sagt Alles und ewig und
ewig. Sie sagt solche Worte.
Die nächsten Tage. Was willst denn, was willst denn. Allmählich zur wahrhaftigen Melodie geworden. Einem Lied. Dons Mantram. Sie haben sich noch paarmal
der schweißtreibenden, leidenschaftlichen Liebe hingegeben. Aber
die Aufräumarbeiten, das eine Zimmer zumindest betretbar zu machen,
nahmen immer mehr Zeit in Anspruch. Dazwischen heiße Küsse.
Ein Saugen von den Lippen, von geschlossenen Augendeckeln, Ohrläppchen,
den Gruben und Mulden, Falten und Knubbeln, saugen, kleben, reiben, schwören
, gleiten, sinken, vergessen, Schnitt.
Komm, wir gehn raus, Sterne
gucken, sagt sie. Schau, der Orion. Sterne ! Sterne! Sie zeichnet Sternbilder
nach, zählt sich ins All. Er sagt: Jeder gottverdammte Suffkopf
ist ein Teil des Alls. Sie lehnt sich an. Ich bin hier zuhause sagt er.
Sie weiß nicht und sagt es nicht. Diese Nacht wärmen sie einander
in der klaren Sternennacht.
Wir sind ein Stück fremder geworden. Miteinander. Und hier. Neu kommen wir uns vor. Und doch alt und verbraucht. Wie Kranke kommen wir uns vor, bewegen uns langsam, um nichts zu zertreten, atmen Vorsicht und gestockten Eiter, riechen welk und dennoch ungeboren.Tun vorsichtig unser Tagwerk. Aufrechte Menschen unterziehen
jedes Ding einer genauen Prüfung. Alles.
Wie lange das so geht? Zwei Wochen, vielleicht auch nur zwei Tage. Heute ist Pfingsten. Der Tag des Heiligen Geistes. Die Kuttenmenschen singen laut Halleluja und Bilder von geschmückten Rindern, fremden Menschen in Trachten ziehen über eine Gebirgslandschaft. Der allsprachige Erleuchtungsgottesdienst wird angekündigt. Seit einer Ewigkeit ziehts mich hin zur Düse. Ich habe dienstfrei heute. Ich will alleinesein. Bevor der Trubel beginnt, etwas Ruhe. Mich hingeben, an alte Träume, Erinnerungen. Lange nicht mehr die Augen geschlossen, in seinen, Dons Armen gelegen, ihn gerochen und vom Rauschen forttragen lassen - Da hockt sie .Hallo. Winken. Unruhig, hektisch, hallo, komm doch, komm schon. An unserem Platz. Hallo, hello, hei,du. Mit Thermoskanne und Decken, eifrig: Ich habs geputzt, ja, ganz sauber. Und hergerichtet. Hergerichtet hab ichs auch. Ganz allein. Nur für uns. Jetzt können wir da richtig einziehn . Don außer sich. Eindringlinge.
Erst all die Tiere, dann das da.
Raus!
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