Die Igel oder Louisiana

(Preis für Prosa des Münchner Literaturbüros 1995)


Ein leises Summen. Sie sagen, das sei der Wind. Viele  jedenfalls sagen das so. Die Meisten. Reden von Wind, von Sonne, von Meer,von einer Tür, die vom Wind auf & zu geschlagen, einem Knarzen, davon, wie es sich anhört, wenn ein Bootskörper im Wasser dümpelt, dabei an die Mole schlägt. Dumm dum platsch dumm dum-- . Aber sie sagen das nur.  Wir wissen es besser, ganz genau; hierdrin gibts keinen Wind. Es werden die Luftfilter sein.Oder die Bänder der Geräuschgeneratoren. Ja, ziemlich fein, was. Geräuschgeneratoren. Für jedes Wetter,jedes Ambiente. - Wind..

Doch nicht die traumsüßen Gedanken beflecken. Wie ein Laken nach Verlust der Unschuld..Wie das Dorf wieder getanzt hat- auf der Weitsehwand. Aufstehn, Wand aus. Das zarte Lindgrün über der Metallschale kommt zum Vorschein.

Wir aber holen unsere Bilder aus einem anderen Jahrhundert, von einer anderen Welt. Ohne Weitsehwand.Ohne Worte. Ohne Generatoren. Der einzige Generator ist unser Wissen, daß wir von Anbeginn an- Wir. Tänze durch Ebenen. Wir. Ohne irgendwas außer uns selbst.
Der Ventilator summt. In der Bretterhütte. Moskitonetz und die halbleere Whiskeyflasche, überquellende Aschenbecher, die alte Scheibe, echtes schwarzes Vinyl, läuft immer wieder von vorne. Die Geräusche dringen von außen. Das Krächzen und Kratzen auf dem Plattenteller - ein Naturgeräusch. Grillen, Zikaden. Flirren. Oberton. So laut sprechen sie kein Wort. Sagen nichts: Sie und er, schwitzend , hungrig, in träger Besessenheit ineinander, übereinander, gleiten, Liebesschweiß, Tränen, Schläge, Zigarette, schwarzweiß Fotos, ein zerfleddertes Buch. Lose Blätter. 
 Erschöpfung und Sattheit. Lasziv bewegen sich die Beiden auseinander. Er rollt von ihr hinunter, sein samtig gieriges Tier in sich zusammengesackt. Müde zufrieden schläft. Sie: Umhüllt in Liebesschweiß, seinem Duft. Feucht. Orchideengleich. Draußen : Das Grillengezirpe, das wehklagende Werben eines Katers, Ochsenfrösche. Übergroß, genauso träge wie sie selbst.
 

Wir tun es unterm Luftfilter. Aber nie mehr in diesem fliederfarbenem Liebeszimmer. All das Getue mit Wartenummern und dann die scheelen Blicke. Wenn man da rein geht & sagt, klar, wir gehn da rein und machen was Mann und Frau nunmal machen. Und machen das ohne Mehren und spielen das Spiel auf die Weise der Tiere. Doch was sind Tiere? Glotzen,  sich abwenden, kichern tun sie, wenn man vom Vierbeiner spricht. Vom Zottelwesen mit Geschlecht. Das trägt den Sack unverdeckt und den Penis im Schaft, das lebt , streckt, dehnt und rekelt, das wimmert und zirpt  und giert, säugt, geckert, heult und fiept. Das gibt es doch nicht.  Durchsichtiges Schimmern eines Flügels - als Ahnung. Oh ja, eine Friedenstaube, der Pfingstochse, das goldene Kalb. Die heilige Kuh hat niemals defäkiert und sich rein ideel vermeert.
Stille Meditation, gegenseitige Tröstungen,  Kutten zu tragen sind wieder modern, oder aber zielstrebig in die Liebeszimmer zu springen, nach Stöhnen und Wälzen, nach all dem Schmutz,  reizen sie kurz & effektiv die entscheidenden - Stellen. Duftorgeln und Dämmerlicht sekundieren, damit so die Herstellung einer neuen Leibesfrucht gewährleistet - nein, da hingehen wir nicht mehr. Ohne je ein Wort zu verlieren. Ein Blick, die Augen verdreht hat er vielleicht. Ich bin nicht so. Verdrehe weder Augen noch Kopf.  Lächelnd begebe ich mich auf meine Rutsche feuchter Träume. So ziehn wir die Köpfe ein unter den steinigenden Blicken. Also nie mehr fliederkeusche Halbdämmerliebe in Geraniumrausch.
Und ab und an auch bei der Lebensmittelvergabe das Getuschel, halten sie Hände vor den Mund wackeln weise Köpfe auf dürren Hälsen. Sagen nichts, sagen wenig. Der Grundton, bei allem, was wir alle tun, ist Flüstern. Sowieso, Flüstern. Sie  verleumden ihren Ekel vor uns, ihre Scham, denn wir sind einflußreiche Leute, oder zumindest nicht unten an der Leiter. Wir reden , riechen , schmecken dieselbe Sprache wortlosen Ekels, ausgebluteter Wunden, stiller Ergebenheit. 
Ich bin  2. Verteilerin. Mein Chef gehört zur Kuttenfraktion.Still, in seinem Tran behelligt er uns nicht. Solange wir unsere Arbeit tun. Glücklich machendes Brot verteilen.Vierzuteilendes, beruhigendes und lösendes Brot. Tägliches, auch.
 Während unsereins die Ration hortet. Als Tauschgut. Gegen Zigaretten, gegen Kekse, Schnaps, Parfum, Zeitschriften.
Gelbe, abgegriffene Ausgaben mit Königinnen, die ihr Zahnpastagrinsen eingefroren bis in diese Welt reintragen. In den Hades tragen. Sagt Don. Er sagt manchmal Dinge, für die gehörte er bestraft. Er macht das trotzdem, wir sitzen unter der Absaugdüse. Die verbrauchte Atemluft hinaus. Ins Draußen. In dieses gelbe Un - ins Nichts.

Diese Düse ist das Tor nach Louisiana. Ich sage, ich habe einen Südstaatenfilm gesehen, da war die Stimmung so wie in meinem Innern. Sage ich. Er sagt, das gefällt ihm, Wir haben mehrere Südstaatenfilme gesehen. Nächtelang reden wir, die Düse rauscht. Und transportiert uns in burbonschwangere schwüle Nächte auf Veranden, auf Schaukelstühlen.

Sie hören den Boden knarzen, den Rhythmus der Schaukelstuhlmusik. Das Kleid klebt an ihrem Leib. Drückende Hitze hängt über ihnen, umfängt sie, durchdringt  und verformt, macht durchsichtig, durchgängig, gummiweich, willenlos. Dieses Fähnchen  läßt den Leib darunter durchscheinen.  Sie sagt, daß sie üppig geworden ist in den letzten Jahren. Er grinst dreckig. Er hat sich tagelang nicht rasiert. Sie fühlen sich in einen Schwarzweißfilm, stehlen sich in diese Haut. Sie lieben sich in diesen Film hinein. Er schraubt sich in sie hinein. Langsam, fordernd, mit leichten Stößen, durchdringt Pforten, bohrt weiter, schlüpft, kriecht in sie hinein. Ganz. Öffnet  sanft fordernd die Türen zu ihrem Süden, salzig leckt und Pore auf Pore. Überall werden sie Welt, ein Universum, ufern aus, gehen über die Äcker, bevölkern die Welt mit Musik, mit träge- schlampigen Blicken, draußen die schwarze Nachbarin, die Baumwollfelder, der Strom.  Weite,  Schwere. - Moskitos. 
Die Dielenbretter. Leichtes Federn bei jedem Schritt. Schaukeln. Wie in einem Schiff, sagt sie. Wie in einem Bauch sagt er. Die Wände waren mal blau gestrichen gewesen, doch die Farbe blättert ab. Wände mit aufgesprungenem Gesicht. Die Augen haben, die erzählen. Das Haus hat sein Großvater dahin gesetzt. Ja so war das und es waren verdammt harte Zeiten, damals. Und jetzt kommst du da du  Miststück.  Machst Dich breit, verströmst deinen unglaublichen Duft, betäubst & betörst alles was Vergangenheit & Zukunft und überhaupt irgendetwas ist. Sie laufen um den Tisch, der  irgendeinem französischen Stil nachempfunden ist. Der ist aus Frankreich, Missus, hat das Mädchen aus dem Nachbarhaus gesagt.  Sie laufen und schließlich fängt er sie. Von hinten greift an ihr hoch. Wie ein Ertrinkender. Zieht sie hinein, erneut in den Strudel.

Wir  unterhalb der Öffnung, blasen Zigarettenrauch hinaus, lehnen ineinander. Im Traumfilm. Lebensfilm. Vereinigung. Und das Holzhaus mit den hellblauen Wänden innen atmet schwer.

Don ist bei der Sicherheit. Es wird immer schwerer, die Leute zu beschäftigen, beschwichtigen, beruhigen. Wenn die Jungs randalieren, mit Dosen schmeißen. Mit  dem kleinen Betäubungsrevolver ausgestattet, dreht er seine Runden. Helm & Schild nur für äußerste Notfälle. Sanfte Kontrolle heißt die Parole. Sanfte -
Es wird so wenig als möglich gesprochen bei dem Job. Don sagt, daß er einen Kollegen hat, bei dem er sich ziemlich sicher ist, daß der das Sprechen bereits verlernt hat. Oder aufgegeben. Was will man, sagt Don. Und fährt sich mit der Zunge über die Oberlippe. Babe, was will man. 
Was will man. Und da kommt dieses Kind daher, eines schönen Nachmittags, pflanzt sich vor Dons grüne Wohnmulde auf, so ein echtes Miststück, dieses Mädel von zehn Jahren  und sagt: Ich will alles. Und dann fängt sie an aufzuzählen und niemand vesucht ihr das Maul zu stopfen. Was will man, sagt da Don und die will alles. Lacht laut über immer absurdere Wünsche, die sich von einem Toast mit Marmelade , einem Aquarium, einem eigenen Pony, einer Polaroidkamera sich zu einem eigenem Raumschiff hochschrauben zu einem eigenem Planeten, einer ganzen Welt, lacht und lacht, daß es hallt an diesen Metallwänden, dreht sich und lacht sich nen Ast, bis ihr Onkel kommt, sie auffängt und sagt: Geh raus in dieses Nichts,  in dieses unberechenbare, diesen Wahnsinn da, den gelben und wünsch dort gefälligst weiter.

Er war bestraft worden später. Der Onkel. Mit der allergrößten Ächtung. Man spricht nicht über das da draußen.

Deshalb hocken wir uns unter die Düse. Ich bin schon fast taub. Doch die Gafahr, daß mein rapide schlechter werdendes Gehör hier Anstoß findet, ist Null. Ich verteile Pillen an die Willigen. Pillen zur Bestrafung. In meiner Freizeit hocke ich mit Don unter der Düse . Keinen störts. Daß wir uns da lieben, stört mittlerweile auch keinen. Denn in die Liebeszimmer gehn wir nicht. Wir sind in Louisiana. Unser gehört der Mond, diese Wolkenschwaden von rosa bis verboten apfelgrün über diesem weiten flachen Himmel. Wir haben unseren Blues und unsere Leere. Wir leibern uns in diese Entropie hinein, in ein kleines Haus, vollgestellt, überwuchert von Tieren; ein paar Geckos kamen zu erst, Schaben. Weil wir weder putzen noch abwaschen. Wir lieben uns, rollen ineinander vom Bett auf den Teppich. Das Messingestell wackelt dann gefährlich und wir verheddern uns im Moskitonetz, das von der Decke runterkommt. Wir sitzen auf der Veranda. Wir hören das Summen der Arbeiter in den Feldern. Wir schaukeln in unseren Stühlen. Wir tragen mal Hüte und mal keine. Wir erzählen uns davon, wie wir uns auf dem Teppich wälzen, wir erzählen uns, wie wir auf der Terrasse schaukeln, wir erzählen uns, daß heute zwei LKW  an unserer Hütte vorbei  über die Brücke  gedonnert sind. Wir reden von den hohen Stimmen des Chores, die von der Kirche über das müde breite Feld zu uns dringen. Wir reden darüber, daß wir gestern über diesen ordentlichen Südstaatenwhiskeyrausch geredet haben. Wir reden davon, daß das Zeug Kopfweh macht und verrückt. Don, und dann hast du mich geschlagen. Wieso du? Wir reden über genau diesen Angstschweiß, über die aufgeplatzte Augenbraue, über Eisumschläge, darüber, wie schwer es ist Eis zu bekommen, wir reden darüber,daß er, Don, sich den roten Dodge von Jake geliehen hat um in die Stadt zu fahren, wegen dem Eis. Warum sind wir so verrückt und tun all diese Dinge, dabei rekeln wir uns unterm notdürftig geflickten Moskitonetz, drehn am Radio und reden über Eifersucht, über die Schaben in der Spüle. Die hocken mittlerweile auf den Tellern. Die Geckos sind auch schon zutraulich geworden. Mit ihren Flatschfingern saugen sie sich an unseren Schränken fest. Es zirpt und girrt, Backen blähen, Bäuche dunsen, Zikaden. Schwer- schwül. Vorgewitterlich. Ein Kleid mit Tupfen, ein Lied, Fotografien in Spiegelfassungen gesteckt. Grußkarten. Veilchen, Rosen,  ein paar Tanzschritte, eine Drehung, du hebst mich, um faßtmeine Taille, Don, ziehst mich zu dir. Ich lasse geschehen, sinke hinein. Dein heißer Atem an meinem Ohr. Ich höre nicht, was du sagst, ich fühle es. 

Wir haben ein Lager da aufgebaut. Mit zwei Decken. Das ist unser Platz. Sie lassen uns zufrieden. Weil wir leise sind. Lärm um uns. Die Seinsmaschine läuft. Der Hase läuft, der Igel rollt sich ein, der Hund bellt, die Nachtigall singt.  Das kommt von zuviel glücklichmachendem Brot, sagen viele & lassen mich gewähren. 

Die Toten werden entsorgt. Still. Plötzlich ist einer nicht mehr da. Wer tot ist, entscheidet die Kommission. Wie sie entscheiden, hängt von Vielem ab. Von der Zahl der Vormonatstoten, von der Menge an Monatsvorräten, an Monatsrügen, Monatsplatz und Monatsbeleuchtung. Im sogenannten Frühjahr verschwinden mehr. Weil da erfahrungsgemäß mehr Platz gebraucht wird. Für neue Kinder und - Tänze. Die Körper der Toten werden durch eine Schleuse nach außen gelassen. Ob sich jemand aus seinem Kleidersack befreit hat und da draußen weiterläuft & lebt, weiß niemand. Es kursieren Gerüchte. Abenteuerliche Fabeln, abstoßenste Versionen ziehen  von Mund zu Ohr,  von Ohr zu Mund, verwandeln sich, wachsen und leben. Frisch gegossen, gepflegt, ab und zu gestutzt, um weiter zu wuchern und neue Früchte zu gebären.
Im Mai wird der Maitanz gefeiert, das Wasser bekommt die Farbe von Maiwein. Die Geruchsmaschine strömt Waldmeister aus. Eine Eurhythmiegruppe führt auf, wie der Frühling den Winter besiegt. Man braucht also die Räume. Die Liebeszimmer sind wochenlang im Voraus gebucht.

"Was will man " sagt Don und "ich will alles" sagt die Stinkergöre  "geh doch raus in diese, gelbe - "sagt der Onkel und daran haben wir uns gewöhnt. Wir haben uns an den Dreikampf gewöhnt, an die Ächtung, das Schmollen, das Leben, das Schweigen und dann das : Kommt daher, angehüpft, steht auf einem Bein, storchig, unbotmäßig und spielt nicht mit im Spiel, das eingeübt, sondern verkündet: Sie werde, jawohl sie werde da rausgehen und den Kleidersackmann mal fragen, was zum Teufel  da eigentlich los ist. Ob das giftig ist oder nicht, ob die Geschichten stimmen, ob es Tiere gibt, die einen fressen & die Genitalien für jedermann sichtbar durch die Gehend schwenken und ob es da Zeit und Sterben gibt und was sonst eben alles. Jawohl. Also, man hört entweder zu, wenn sie sagt , daß sie alles will  und man denke gefälligst über ihre Wünsche nach oder man öffne ihr die Schleuse.

Verlegenheit. Verlegene Blicke auf den Boden, Verlegenes Nippen an den Maiweinstrohhalmen. Kinder werden nicht bestraft. Es macht Kopfweh. Starker Tobak. Und ein Kippen  zieht sich wellengleich durch die ganze Einheit. Das-

An diesem Abend und die darauffolgende Woche stieg der Konsum um das zehnfache an. Selbst wir sind ins Kinovideo gegangen. Ein Raum, gleicht einer Bar, an jeder Wand läuft ein anderer Film. Dazu Laserlightshow unterlegt mit sanfter Musik. Wir haben uns vom Monitorennebel so einrauschen lassen, daß wir ein paar Tage lang alles vergaßen.

Ein paar Tage und dann er, Don- eines graugrünen Morgens, knabbert in mein Ohrläppchen,  ein Wort: Louisiana? Lousiana! Wieder unter die Düse. Zwei Decken , ein paar aufbereitete Stummel Tabak, den mit Wasser gestreckten Whiskey in der Thermoskanne.

Die Tür zum Haus stand offen. Und das Chaos noch etliche Spuren gewaltiger. Ratten hatten inzwischen das Domizil entdeckt, sich diverser Speisereste bedient. Die Kaffeekanne ausgeschüttet über den Teppich. Ein fetter Ochsenfrosch fühlt sich durch die unerwarteten Eindringlinge gestört und hüpft über die Schwelle ins Freie. Von außen gleißendes Licht. Sie nimmt den Besen, ein alter angestaubter Hexenbesen, sagt er, und kehrt den Unrat über die Schwelle. Quieken, Pfeifen, Auseinanderspringen. Es wackelt etwas Dunkles in der Lampenschale - eine verirrte Schlange. Fegen, die Decke entlang, Matratzen werden gewendet. In einer Schale Papier verbrannt. Rauch.  Rußige Gesichter. Verlegen streicht sie über die Schürze. So habe ich mir aber nicht - tschtt! Macht er und beugt sich zu einem filmreifen Kuß über sie. Er riecht nach Maschinenöl. Hab die Zylinderkopfdichtungen festgemacht, am Trekker, sagt er und hört nicht auf nach Öl zu riechen. Seine Ärmel aufgekrempelt, Wie Äste treten die Adern hervor. Umfaßt sie, sie entwischt. Aber, Fangen, Kichern und die Tür ist noch nicht zu.  Er wird zum Baum.  Auf der Schwelle bläht der Ochsenfrosch die Backen.

Mittagspause. Eine eindrucksvolle sogenannte Junisonne steht über den lindgrünen Wänden. Wir unter der Düse. 
Ich liebe Dich, sagt Don. Fordernd der Ton. Pochend harter Lendenton. Etwas an der Innenseite seines Schenkels klopft an, diktiert: "Ich liebe dich". Tonlos, durstig  "Ich will dich"
Ich kann nicht, sage ich. Das ist das allererste Mal, daß aus meinem Mund dieses kommt: Ich kann nicht.
Heute null Louisiana?
Ja, heute null Louisiana.
Wir bleiben also hier. 
Hier sitzen wir mitten im großen Lärm der Düse in unseren Sicherheitsoveralls, lauschen dem Lärm, der entfernt nach Meer, nach starkem Seegang riecht.
Ein realistischer Augenblick. Sagt Don und er sagt das so langsam und erfurchtsvoll, wie man eigentlich nur das Wort "erhebend" ausspricht.  Ein realistischer Augenblick. Wir schweigen und gucken auf unsere spitzen Knie. Wir sind dünn geworden. Regelrecht dürr.
Weil wir ungern in die Kantina gehen. Das fällt mir überhaupt erst jetzt auf. Wir sind eigentlich nirgendwo gern. Ich sag zu Don, daß ich jetzt gehen muß. Ein paar in Abteilung 8 sind ausgeflippt, hab ich gehört. Ich gehe ihnen glücklich machendes Brot bringen. Also sage ich , daß ich glücklich machendes Brot bringen gehe um das Ausflippen zu beenden.  Und Don zeigt mir den Stinkefinger. Ich tu so, als würd ich ihn abbeißen. Wir lachen beide. Kein  so übler Tag, heute. Schon gelacht. 

Was sie ein paar Tage später allerdings vorfanden , ging entschieden zu weit. Wieder war die Luft schwer, wieder hing der weite Himmel voller träger trächtiger Wolken, wieder stand der Zeiger der Lust, wieder war man im Feuchtbiotop, wieder quakten, balzten die Frösche. Ohrenbetäubendes Knarren. Das Werben der Männchen. Fleckige Bäuche, die pumpen, Blasen seitlich der Mäuler. Das ging zu weit, war das Bett zum Teich, den Leich abzulegen- doch nicht für -Frösche. Wieder mußte der Besen her, wieder wurden die Matratzen gewendet, wieder die Schlange aus ihrem Nest, der Lampenschale, wieder die Ratten und Hörnchen über die Schwelle gefegt. Wieder geräuchert gegen Moskitos, Libellen. Wieder Erschöpfung und Arbeit. Und es hatte diesmal weit länger gedauert, bis sie zu einander gefunden, sich einander ausliefern, einander verzehren konnten. Doch war es nicht ganz so selbstvergessen, nicht so verliebt konzentriert, daß eine Welt hätte untergehen können nebenbei. Oder zwei. Nein, stets ein Auge auf die Vorgänge im Raum gerichtet, liebten sie sich mehrmals. Das süße Reiben in ihrer Innenseite spürte sie und er den kräftig zupackenden, schmatzigen Ritt ihrer inwendigen Küsse, sie wälzten sich und schließlich trug sie der Strom dann doch noch fort und brach einmal wieder alle Dämme. Und doch - war der Anstieg auf diesen Gipfel schon sehr mühevoll. Und nur ihrer Liebesgeduld, der Kenntnis all der köstlichen Sinneseindrücke, dieser beharrlichen Vorfreude war ihr glückliches Ende zu verdanken. Das wußten sie auch beide und deshalb wohnten sie einander besonders lange bei. Sie gab ihn, obwohl bereits erschlafft, noch nicht frei, wissend, daß alles ein Ende haben und dann-
Der Wind aus der Düse trocknete ihre Tränen, als sie  danach gemeinsam an der letzten Kippe zogen.

Das Mädchen hat sich versteckt. Vor dem Onkel sagt man. Ja, eine schöne Bescherung und da dachte man doch schon, die sei tatsächlich durch die Schleuse ,die Kleine. Ich habe sie dann unter einer Generatorkuppel gefunden, eingerollt, schlafend. Sie war weit gelaufen, 12 Meilen, fast die ganze Zone. Ganz schön weit.  Ein seltsames Mädchen. Lästig, sehr lästig.
Ist Liebe groß, fragt sie mich.
Ich frage sie wie sie das meint.
Wegen dem unter der Düse in dem Krach und  dann glotzt ihr Euch stundenlang an. Das kann man doch nur, wenn man es will. Ganz fest. Sieh doch, meine Augen sind unruhig. Ich kann nicht auf einen Punkt gucken und das ewig und ewig. Und dabei will ich doch Alles. Alles!

Sie sagt Alles und ewig und ewig. Sie sagt solche Worte.
Ich schaller ihr eine. Das ist Sache der Erwachsenen. Sage ich. Solche Worte.
Das Mädchen grinst. Sommersprossig grinst die  und guckt mich mit ihren so schrecklich unruhigen Aufgen an und läuft davon. Dabei ruft sie mir zu: Für das eben, kann man dich in den Sack sperren und rauswerfen. 

Die nächsten Tage. Was willst denn, was willst denn.  Allmählich zur wahrhaftigen Melodie geworden. Einem Lied. Dons Mantram.

Sie haben sich noch paarmal der schweißtreibenden, leidenschaftlichen Liebe hingegeben. Aber die Aufräumarbeiten, das eine Zimmer zumindest betretbar zu machen, nahmen immer mehr Zeit in Anspruch. Dazwischen heiße Küsse. Ein Saugen von den Lippen, von geschlossenen Augendeckeln, Ohrläppchen, den Gruben und Mulden, Falten und Knubbeln, saugen, kleben, reiben, schwören , gleiten, sinken, vergessen, Schnitt. 
Sollen wir uns nicht ein anderes....
Nein und nein und nein. Das ist das Haus von meinem Großvater. G-r-o-ß-v-a-t-e-r! Geh, wenn dir das nichts bedeutet, ich bleibe.
Der Spiegel in der Flasche senkt sich. Zum Schluß nur murmeln. Unzusammenhängendes Gebrabbel, Satzfetzen: Ich schlag dich, du Hure, komm her, ich pack Dich, komm sofort her, Luder- Das Haus meines Großvaters. Ehrliche Arbeit. Anständig. Das ist Geschichte. Leben . Lebendiges.
Die Petroleumlampe flackert, tanzt über seinen gewichtigen Schritten.

Komm, wir gehn raus, Sterne gucken, sagt sie. Schau, der Orion. Sterne ! Sterne! Sie zeichnet Sternbilder nach, zählt sich ins All. Er sagt: Jeder  gottverdammte Suffkopf ist ein Teil des Alls. Sie lehnt sich an. Ich bin hier zuhause sagt er. Sie weiß nicht und sagt es nicht. Diese Nacht wärmen sie einander in der klaren Sternennacht.
 

Wir sind ein Stück fremder geworden. Miteinander. Und hier. Neu kommen wir uns vor. Und doch alt und verbraucht. Wie Kranke kommen wir uns vor, bewegen uns langsam, um nichts zu zertreten, atmen Vorsicht und gestockten Eiter, riechen welk und dennoch ungeboren.Tun vorsichtig unser Tagwerk.

Aufrechte Menschen unterziehen jedes Ding einer genauen Prüfung. Alles.
Der erste Satz aus Dons Mund. Seit vierzehn Tagen, seit dieser Nacht. Der erste Satz von Don.  Wir sitzen unter der Düse. Null Zigaretten. Brot? Grünes, gemeinsam geteiltes? Warum eigentlich nicht. Ich sehe in Dons zerfurchtes Gesicht. Hat er eine Entscheidung getroffen? Er sieht so aus. Fast unheimlich. Wie aus Stein, ein Monument aus Wut. Verhaltener. Aufgebrochen, schuppig die Haut spannt und arbeitet. Augen brennen aus innen.  Aber sein kräftiger Körper ist müde. Meine Lippen sind auch aufgesprungen. Wir haben Durst,  trinken etwas Wasser. Das ist der Hunger nach -, sagt Don und dann aber, was will man. Ganz vorsichtig streichel ich über sein dichtes Haar. Er wehrt sich nicht, sondern rückt näher zu mir und so an mir und an die Wand gelehnt, entspannt er sich zusehens. Ich auch. Angenehme Schwere, die mich einhüllt. Alle losen Enden werden in die Haube zurück hineingeschoben. Es gibt nichts außerhalb. Es gibt Essen und Trinken und irgenwo einen Gott, der einen Sohn hat, der einmal im Jahr aufersteht und dann als heiliger Geist einfährt. Mit Krachbumm. Und das ist dann ein Fest, an dem man ißt und trinkt und an dem Visionen nicht verboten sind. Bald wird uns warm, wir gehen in die Kantina, holen uns Kuchen. Mein Chef hält uns zwei Stühle frei. Wir lauschen dem Konzert, sprechen ein bißchen über das Pfingstfest. Es wird gebetet. Jemand gibt eine Runde Filterzigaretten aus. Wo wir hinsehen Paare, Gruppen. Niemand ist einsam. Niemand sieht einsam aus. Wir essen irgendwann schlafen wir ein. Der Raum scheint sich wie eine riesen weiche Decke um uns zu legen. Wir kehren nicht zurück.

Wie lange das so geht? Zwei Wochen,  vielleicht auch nur zwei Tage. Heute ist Pfingsten. Der Tag des Heiligen Geistes. Die Kuttenmenschen singen laut Halleluja und Bilder von geschmückten Rindern, fremden Menschen in Trachten ziehen über eine Gebirgslandschaft. Der allsprachige Erleuchtungsgottesdienst wird angekündigt. Seit einer Ewigkeit ziehts mich hin zur Düse. Ich habe dienstfrei heute. Ich will alleinesein. Bevor der Trubel beginnt, etwas Ruhe. Mich hingeben, an alte Träume, Erinnerungen. Lange nicht mehr die Augen geschlossen, in seinen, Dons Armen gelegen, ihn gerochen und vom Rauschen forttragen lassen - Da hockt sie .Hallo. Winken. Unruhig, hektisch, hallo, komm doch, komm schon. An unserem Platz. Hallo, hello, hei,du. Mit Thermoskanne und Decken, eifrig: Ich habs geputzt, ja, ganz sauber. Und hergerichtet. Hergerichtet hab ichs auch. Ganz allein. Nur für uns. Jetzt können wir da richtig einziehn .

Don außer sich. Eindringlinge. Erst all die Tiere, dann das da. 
Er hate von ihr abgelassen. Im Whiskeyrausch hatte er sie zuvor auf dem schweren Feld genommen, zwischen den Baumwollpflanzen mit ihr die Erde gepflügt. Die heiße, sommerfurchige, hatte ihr Handgelenk nicht mehr frei gegeben. Nach Hause, nachhause geschrien, sie gezogen, gezerrt. Haare wehn, schwarze Schatten, gegen rot - violetten Abendhimmel. Eine traurige Stimme in der Ferne, andere waren eingefallen. Chor, Choräle, Feuerzungen aus den Liedern waren zu ihnen gedrungen, lebhafter geworden, creszendo, erst züngelnd, dann Flamme, dann Feuersbrunst, hatten auch die beiden gepackt, erweckt und in der Erwartung nach der schwülen anheimeligen Lotterhöhle waren sie schließlich gerannt. Alle beide. Heiter, gierig, hitzig, fiebernd. Sie waren Hand in Hand angekommen, Hand in Hand über die Veranda, Hand in Hand auf der Schwelle gestanden, Hand in Hand hatten sie  - den frischen Farbduft eingesogen, waren des frischbezogenen Bettes gewahr geworden, des Mobiles, der aufgereihten Bilder, der aufgefüllten Lampe, der Vorräte, der Kanister voll Treibstoff für den Trekker, des grinsenden Kindes.

Raus!
Keine Bewegung.
Raus!
Nichts. 
Grinsen, Toben. Tisch kippt,  Stuhl bricht, blindes Toben, Derwischgleiches. Das ist mein Haus. Und - in beharrliches Schweigen, in die tiefe Stille , vor dem Hintergrund all der Grillen, Zikaden, dem Quaken, der gesamten Balz,  Dons unmenschlich klingende Stimme , die läßt sich tragen, zieht sich dehnt sich in  Länge, in Breite, über das ganze Land , umarmt zerquetschend schreit: was willst du ? 
 Alles, ich will alles.  Die Antwort. Ohne Ende. Unendlicher Wiederhall. 
Griff zur Öllampe. Unaufhaltbar. Er stößt die weg, die er solang umfaßt , daß jetzt ihr Handgelenk weiß & taub geworden, stößt sie zu Boden, mit dem Ellbogen ins Gesicht, stößt sie blutig, sie kriecht in eine Ecke, schmeckt Schmerz, das Wummern & Hämmern der offenen Wunde, atmet  Benzindampf, schielt aus ihrer Ecke hervor, im Halbdunkel sieht sie , sieht sie ihn die Kanister öffnen & vergießen. Die Lampe. Aber da hat er sie schon wieder . Wieder am Handgelenk, schleift sie, bis sie zum Aufstehn kommt, die Veranda  hinunter. Hinter ihnen ein Knall, dumpf, aufbrechend, quellend das Geräusch, ein Brecher, sich ergießend, noch einer, noch einer. Sie laufen, durchbrechen die Schallmauer des Seins. Die aufgeschreckten Tiere fahren hoch, springen, zerstreuen sich quietschend, schwirrend. Scherben, Klirren, Bruch, Reißen. Stille, Füße über -   Wieder Knall, noch einer, noch einer Feuerball, orange, Rauch steigt auf. 
Leere. Nichts. Kein Ton.
Er umarmt sie,  bedeckt sie mit seinem Flügel, seinen riesigen Armen, allem, was er hat, sich selbst, seinem Ganzen; wischt  Tränen weg, küßt sie weg, die Tränen. Küßt ihren Mund, umspielt ihre Lippen, liebkost mit rauher Zunge die ihre, erforscht jede der kleinen rosa Erhöhungen, entdeckt sie, beginnt zu schmecken,  schmeckt unendlich lang, tief und zärtlich. Schwarz ausgeschnitten gegen den  Himmel ohne Wände.
 

 

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